Der Enkeltrick
Kurzkrimi von Aernschd Born
«Hallo Oma, hier ist Sofie.»
«Sofie?»
«Sofie. Deine Enkelin. Ich bin seit einer Woche in Basel und soll dir viele Grüsse ausrichten von Papa.»
«Von wem?»
«Ja ich weiss, ihr habt keinen Kontakt mehr, seit er vor zwanzig Jahren nach Lima abgehauen ist. Er hat mir aber viel von dir erzählt und jetzt bin ich für ein Jahr als Austauschstudentin in Basel und wollte dich einfach mal besuchen.»
«Was studierst du denn?»
«Ja ehm Archäologie und Geschichte und auch Germanistik und jetzt wollte ich dich gerne mal kennenlernen.»
Frau Gertrud Huber-Meierhans freute sich. Eine Enkelin! Was für ein Glück! Diesmal würde sie alles richtig machen. Sofie kam zum Nachmittagstee und zeigte auf ihrem Handy Fotos aus Lima.
Die letzte Sofie war vor drei Jahren gekommen. Aus Buenos Aires. Auch mit Fotos auf dem Handy. Frau Gertrud Huber-Meierhans hatte ihre Enkelin unterstützt. Sie hatte dann vom unglaublichen Pech ihres Papas erfahren, der sein ganzes Erspartes von heute auf morgen verloren hatte. Nun musste Sofie-eins ihr Studium aufgeben. Ihr ganzes Leben war zerstört.
Daraufin hatte Gertrud Huber-Meierhans all ihre Konten leergeräumt, um ihrer Enkelin beizustehen. Sie war doch immer so lieb und hilfsbereit und dankbar gewesen – bis zu dem Tag, als Sofie-eins verschwand. Mitsamt den 220‘000 Franken. Frau Huber-Meierhans musste in die kleine Wohnung Birmannsgasse 11 umziehen, wo sie nun von der Witwenrente lebte.
Schlimmer als der Geldverlust war das mitleidige Lächeln rundherum gewesen. Das Lächeln auf der Basler Polizeihauptstelle. Das Lächeln des Bankangestellten am Beratungstisch. Das Lächeln ihrer Freundinnen im Hirzbrunner Tanzverein für Junggebliebene. Belächeln ist schlimmer als Mord. Mord überlebt man selten. Belächeln hält lebenslänglich.
Umso mehr freute sich Gertrud über die unverhoffte Chance mit Sofie-zwei. Das Muster war dasselbe. Beim dritten Besuch erwähnte die junge Frau, wie teuer das Leben in Basel sei.
Frau Gertrud Huber-Meierhans bot Sofie die Mansarde hinter ihrer Stube an. Sofie-zwei war glücklich. Sie werde später alles zurückzahlen, wenn sie mal gut verdiene. Jaja, dachte Frau Gertrud Huber-Meierhans, und wartete auf weitere Betteleien.
Und schon klagte Sofie-zwei eines Abends, dass sie kein eigenes Konto eröffnen könne. Die die erforderlichen Papiere seien noch nicht aus Lima eingetroffen. Ihr Papa wolle ihr 45‘000 peruanischen Sol überweisen.
Jaja, dachte Huber-Meierhans und eröffnete in ihrem Namen ein Konto für Sofie Huber zwei. Sie legte gleich hundert Franken an. Papas Geld kam aber nicht. Sofie-zwei konnte das Semestergeld nicht bezahlen. Sowieso kam sie sich in ihren armseligen Klamotten sehr benachteiligt vor und und musste jetzt auch noch Bücher und so weiter kaufen und so weiter.
Jaja, sagte Frau Gertrud Huber-Meierhans und überwies nochmals 500.- auf Sofies Konto, ein Konto, von dem man aber nicht mehr als 2000.- im Monat abheben konnte. «Du brauchst einen Finanzierungsplan», sagte Frau Gertrud Huber-Meierhans. Die Enkelin nickte.
«Du hast mir eine grosse Freude gemacht, als du dich bei mir gemeldet hast», sagte Gertrud, «welche Oma freut sich nicht, nach so vielen Jahren eine unbekannte Enkelin kennen zu lernen. Ich möchte, liebe Sofie, dass wir diese Freude weitergeben an einige meiner betagten und begüterten Freundinnen, von denen ich sehr viel weiss aus ihren zerrütteten Sippen. Wird vielleicht nicht alles ganz gesetzeskonform bleiben, aber gerade deshalb umso wirkungsvoller.»
«Was kümmern mich Gesetze?», pflichtete Sofie-zwei bei.
So kam es, dass Sofie-zwei als Melanie oder Theresa oder Silvana viele Mitglieder des Hirzbrunner Tanzvereins für Junggebliebene anrief und besuchte. Sofie-zwei war äusserst talentiert. Die Opfer freuten sich ausnahmslos über das Auftauchen einer Enkelin, die man mit schlechtem Gewissen vergessen und vernachlässigt hatte – und jedes Mal stimmte ihre Lebensgeschichte passgenau in die Tragik der Besuchten. Schon bald begannen Unterstützungsgelder reichlich auf das Sofie-Konto von Huber-Meierhans zu fliessen. Sofie-zwei verschob das Studium auf später und widmete sich der interfamiliären Beziehungspflege. Sofie-zwei und Gertrud Huber-Meierhans konnten immer öfter auf ihr erfolgreiches Geschäftsmodell anstossen.
Nach gut einem Jahr hatte das Konto ein Guthaben von etwas über 220‘000.-. Frau Gertrud Huber-Meierhans startete die letzten Phase des Plans.
Das Gift im Wein wirkte Wunder. Sofie-zwei musste nicht leiden. Sie lag friedlich in ihrer Mansarde. Wer vermisste schon eine nicht gemeldete Kriminelle? Im Namen von Melanie oder Theresa oder Silvana schrieb sie allen Omas und Opas kleine Briefchen, sie sei für kurze Zeit landesabwesend, würde sich aber bald wieder melden.
In der Küche war noch genügend Platz für eine Tiefkühltruhe. Der Coop-Lieferdienst schleppte sie in den dritten Stock und verstand die Oma, die nicht mehr für jedes Lebensmittel extra die vielen Stufen steigen wollte.
«Da wär ein Enkel gut», bemerkte einer der Transporteure.
Jaja, sagte Huber-Meierhans und arbeitete den ganzen Nachmittag. Dann hatte sie Sofie zwei in die Truhe kaltgelegt.
Die Rache war doppelt süss. Jetzt hatte sie sich endlich an ihren alten Tanzfreunden gerächt. Und auch an dieser kleinen – wenn auch nicht unsympathischen – Schlampe, die sie ausnehmen wollte.
Anderntags liess Frau Gertrud Huber-Meierhans ihr ganzes Geld auf ein neues Konto der Banco de Espania überweisen. Der Flug nach Sevilla war gebucht und das putzige Häuschen nahe der Grenze zu Portugal gekauft. Dort würde sie niemand finden, schon gar nicht unter falschem Namen. Irgendwann würde bei ihr zuhause der Strom abgestellt. Sofie-zwei würde auftauen und stinken. Aber bis dann wären alle Spuren zu Gertrud Huber-Meierhans für alle Zeiten verwischt.
Für eine letzte Nacht betrat sie nochmals ihre Wohnung. Das Telefon klingelte. Sie setzte sich auf die Tiefkühltruhe. Albert aus Lima. Wer? Ihr Sohn. Sofie habe so viel Gutes über sie erzählt, aber nun mache er sich Sorgen. Sofie melde sich nicht mehr und die 45‘000 peruanischen Sol, die er auf Sofies Konto habe überweisen wollen, seien auch wieder zurückgekommen.